Wie ein Android-Jünger versucht, von Google loszukommen

      Wie ein Android-Jünger versucht, von Google loszukommen

      Im November 2019 erreichte das iPhone 11 unsere Redaktion. Es war brandneu, schwarz und hatte 64GB internen Speicher. Diese Basisausstattung hat mich seit diesem Tag als mein primäres Smartphone begleitet. Es war mit mir im Urlaub, hat mich auf meinen täglichen Wegen in Berlin begleitet und schlussendlich den Versuch unternommen, mich von Android wegzulocken.

      Für technische Daten, Lieferumfang und Themen wie Akkulaufzeit empfehle ich mein originales Review zum iPhone 11. In diesem Beitrag geht es darum, wie sich das Gerät sechs Monate lang im Alltag geschlagen hat und ob es genug ist, um mit zehn Jahren Google zu brechen.

      Warum ich von Google weg will

      Seit dem Motorola Defy und dem Motorola Xoom Tablet bin ich ein Android-Kind. Neue Firmware aufspielen und das präzise Anpassen meines Systems haben mich damals zusammen mit dem günstigen Preis in den Kosmos von Google gezogen.

      Mit jedem Jahr kamen mehr Google Dienste hinzu, die ich gerne genutzt habe. Anwendungen wie YouTube und Google Maps haben viele Sachen einfacher gemacht. Wie viele Accounts mit meinem Google-Konto verknüpft sind, will ich hier lieber nicht erwähnen.

      Im Mai 2019 kam dann aber für mich der Knall. Damals wurde bekannt, dass Google alle Nachrichten in Gmail nach Einkäufen scannt und sauber aufbereitet. Jedes HDMI-Kabel, jede Blu-ray und jedes T-Shirt war dort. Egal bei welchen Online-Shop es gekauft wurde, solange es eine Bestellbestätigung gab, war es da.

      Mir war klar, dass Google eine Menge über mich weiß, aber DAS war zu unheimlich. Plötzlich fühlte sich alles von Google nach Manipulation zum Kauf an und mit jeder Woche wurde das Gefühl stärker – Unwissenheit ist manchmal doch Glückseligkeit.

      “Niemand möchte sich der Realität stellen, dass dies (Google) eine Werbefirma mit vielen Hobbys ist.”

      ehemaliger Google Manager

      Ich musste von Google weg. Per Ausschlussverfahren gab es aber nur eine wirkliche Alternative und das war Apple und iOS. Etwas „per Ausschlussverfahren“ zu wählen, klingt schon wie die schlimmste Option, gerade weil man eben keine wirkliche Wahl hat.

      Apple hat dazu seine ganz eigenen Probleme. Von den unsichtbaren hohen Wänden seines Systems, zu seiner eigenen Hybris und der Unfähigkeit, Fehler zuzugeben (The Fappening, Airpower, die Mülltonne, diverse Gates). Aber wenn mir meine Privatsphäre so wichtig ist, hatte ich keine Wahl. Ich musste in den sauren Apfel beißen (Sorry, der Wortwitz musste sein). Zumindest sind fast alle Tech-Firmen gleichermaßen Steuerflüchtlinge. Immerhin etwas.

      Das ist die Hintergrundgeschichte, wie ich zum Test den iPhone 11 gekommen bin. Sechs Monate später ist es immer noch mein Daily Driver und ich habe es geschafft, Google etwas aus meinem Leben zu verbannen – mehr dazu später. Zuerst sehen wir uns an, welchen Eindruck des iPhone 11 mit der Zeit vermittelt.

      Inhaltsverzeichnis

      Kratzer und Schrammen

      Wie viele Tester von Smartphones benutze auch ich keine Taschen, Hüllen oder Ähnliches. Ich passe auf, dass das Smartphone nicht in der gleichen Tasche wie meine Schlüssel landet, aber da hört meine Sorgfalt auch schon auf.

      Zusätzlich verliere ich auch etwa einmal die Woche gegen die Schwerkraft und mein Smartphone knallt unsanft auf den Boden. Entsprechend sehen auch viele meiner mobilen Geräte aus. Auch das iPhone 11 hat einiges an Macken in diesen sechs Monaten gesammelt.

      Während der Rahmen wirklich schlimm aussieht, ist das Glas auf der Vorder- und Rückseite im guten Zustand - abgesehen von sehr vielen Fingerabdrücken. Auch der Lightning-Anschluss sieht noch sehr gut aus, was aber eher daher kommt, dass ich das iPhone 11 meistens drahtlos lade. Die maximal 7,5 Watt beim drahtlosen Laden könnten schneller sein, aber da ich fast immer über Nacht lade, spielt die Lade-Geschwindigkeit nur eine untergeordnete Rolle.

      Die Verarbeitung des iPhone 11 ist also absolut überzeugend, aber auch nicht besser als bei anderen Smartphones dieser Preisklasse.

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      Das Nicht-Full-HD-Display

      Das Geschrei beim Release des iPhone Xr war groß - hatte es doch nur ein 828p-Display. Der gleiche Aufschrei wiederholte sich etwas leiser im Jahr darauf, als das "Budget-iPhone" offiziell zum Standard-iPhone wurde.

      Nach mehr als sechs Monaten mit dem iPhone 11 kann ich aber sagen, dass das Display mehr als in Ordnung ist. Inhalte werden scharf dargestellt. Weder bei Text noch bei Videos hatte ich je das Gefühl, dass es unscharf ist. Dazu sind der Kontrast und die Farbsättigung so gut, wie es bei einem LCD nur sein kann. Eine höhere Auflösung wäre natürlich möglich, würde aber den Akkuverbrauch steigern.

      Im direkten Vergleich mit einem Full HD Display wie dem Google Pixel 4 (Test) mag ich einen leichten Unterschied sehen, aber eben nur im direkten Vergleich. Der Mehrwert der längeren Akkulaufzeit wiegt für mich das leicht "schlechtere" Display locker auf.

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      iOS 13 und die Zukunft

      Als iOS 13 mit dem iPhone 11 auf dem Markt gekommen ist, war es noch sehr buggy. Die Kamera-App hatte unerwartete Abstütze und auch die Navigation hatte immer wieder mal Aussetzer.

      Gerade der Start von iOS 13 zeigt deutlich, dass Apples Software - zumindest zum Launch - nicht mehr so stabil ist, wie noch vor einigen Jahren. Es bedarf meistens ein paar Updates bis eine neue Version wirklich rund läuft. Gleichzeitig ist das Apples große Stärke - kontinuierlicher Software-Support.

      Wer ein aktuelles iPhone kauft, kauft auch gleichzeitig vier bis fünf Jahre Software-Updates mit. Egal ob iPhone SE 2020 (ab 550€*), iPhone 11 (ab 760€*) oder iPhone 11 Pro (ab 920€*) - alle drei laufen mit dem A13 Bionic SoC und werden aller Wahrscheinlichkeit noch bis 2023 alle großen Software-Updates bekommen.

      Inzwischen ist iOS 13.5. auf dem Markt und auch bei Millionen von Nutzern auf den Geräten installiert. Seit iOS 13.5. können iPhones die Corona-Warn-App nutzen und erkennen, ob Nutzer eine Maske tragen. Ist das der Fall, wechselt das Gerät direkt zur PIN-Eingabe statt auf FaceID zu warten. An all diese Szenarien war vor sechs Monaten noch nicht zu denken.

      Auch versprochene Features wurden inzwischen nachgereicht. Deep Fusion kam nur zwei Monate nach dem Release des iPhone 11 in Form eines Software-Updates und steigert die Qualität von geschossenen Bildern bei schlechten Lichtverhältnissen. Wie viele von Apples Software-Entscheidungen läuft auch Deep Fusion automatisch im Hintergrund. Man mag es dann so wie Apple es macht oder hat eben Pech gehabt.

      Android-Smartphones haben sich im Bereich Software-Support deutlich gebessert - zumindest bei den Highend-Modellen. Das Samsung Galaxy S9 (Plus) vom März 2018 läuft beispielsweise mit aktuellem Android 10 und One UI 2 und hat auch die aktuellen Google Sicherheitspatches*. Das Galaxy S8 vom Jahr davor ist aktuell bei Android 9 One UI 1, aber zumindest bei den Patches aktuell. Im Mittelklasse-Segment von Android gibt es aber immer noch Nachholbedarf.

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      Kamera

      Die Kamera des iPhone 11 liefert bei Launch ausgesprochen gute Bilder. In meinem Haupt-Test habe damals ein paar Bilder aus meinem Island-Urlaub geteilt und auch sechs Monate später liefert das iPhone 11 in allen drei wichtigen Kategorien absolut ab - draußen mit viel Licht, draußen mit wenig Licht bzw. nachts und drinnen mit künstlichen Licht. Diesmal stammen die Bilder aus einem Trip in den Norden von Israel - das war vor der aktuellen Situation rund um COVID-19.

      Trotzdem gab es schon beim Launch des iPhone 11 Smartphones mit besseren Kameras. Das Google Pixel 4 kam seinerzeit mit dem Astro-Fotografie-Feature auf den Markt, welches die Nordlichter Islands hat erstrahlen lassen, wie es kein anderes Smartphone konnte.

      Auch Samsung mit seinem Galaxy S10 (Test) stand dem iPhone 11 in nichts nach. Inzwischen sind mit dem Huawei Mate 30 Pro (Test) und dem Galaxy S20 (Test) weitere Smartphones auf dem Markt gekommen, die noch bessere Bilder schießen können.

      Smartphone-Kameras folgen hier einer einfachen Richtung. Je moderner das Gerät ist, desto besser ist wahrscheinlich auch die Kamera - zumindest im Flagship-Segment. Trotzdem ist die Kamera und besonders die Super-Weitwinkel-Kamera des iPhone 11 auch heute noch sehr gut und kann neben wunderschönen Landschaftsaufnahmen auch gute Nachtaufnahmen realisieren.

      Die Slow-Motion-Selfies (Slowfies), die Apple zur Keynote im Herbst 2019 beworben hat, haben sich nicht durchgesetzt, was aber auch nicht schlimm ist.

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      Android vs iOS - was nervt und was ist richtig gut

      Seit meinem ersten Android-Smartphone mit Android 2.2 aka. "Froyo" hat sich viel verändert, sowohl bei iOS als auch bei Android. Inzwischen klauen beide Betriebssysteme bei Design und Funktionen voneinander. Ein paar Sachen nerven sowohl bei Android als auch bei iOS. Hier meine persönliche Listen:

      Nachteile iOS

      • Gratis iCloud-Speicher (5GB) ist fast immer voll (50GB für 1€/Monat)
      • kein anderer Online-Speicher für Backups wählbar
      • Features, Geräte und Preise werden von Apple bestimmt

      Vorteile iOS

      • Software-Support für 4-5 Jahre ab Release
      • schlankes und sehr performantes System
      • Alles von Apple arbeitet traumhaft zusammen (AirPods, MacBooks, usw.)

      Nachteile Android

      • Entsperren von Smartphone via Gesicht ist ein Gimmick und selten sicher
      • Viele Ressourcen für ein performantes Erlebnis (Bsp. 6 GB RAM)
      • Google ist allgegenwärtig
      • Halbgare Features, wie Radar-Sensor des Pixel 4, usw.

      Vorteile Android

      • Mehr Einstellungen und bessere Anpassungen
      • Große Auswahl an Herstellern, Geräten und Preisklassen
      • Offenes Betriebssystem

      Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile, wobei mein Privatsphären-Problem mehr bei Google und nicht bei Android liegt. Genauer gesagt mit den Google Diensten, die so praktisch das eigene Leben bereichern.

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      Der Preis der Privatsphäre

      Eine Lektion meines Marketing-Professors: wenn ein Produkt nichts kostet, bist DU das Produkt. Nirgendwo wird das so deutlich wie bei den Diensten von Google. Maps, YouTube, Google Drive usw. kosten Geld für die Programmierung und Unterhaltung, aber wir als Nutzer zahlen kein Geld dafür - wir zahlen mit unseren Daten bzw. indem wir Werbung sehen.

      Es ist natürlich prinzipiell einfach, für alle Google-Dienste eine Alternative zu finden, aber die Bequemlichkeit macht es kniffelig. Außerdem ist Google in vielen seiner "Hobbys" einfach die beste Option am Markt – siehe Google Übersetzer. Entsprechend nutze ich auch nach der Umstellung zu iOS ein paar Google Dienste.

      Google Mail ist dabei so tief in meinem Leben verankert, dass es fast unmöglich ist, alle verknüpften Konten rauszuziehen und zu einer anderen Mailadresse zu transferieren. Gleiches gilt für YouTube, wo ich aber schon seit Jahren eine Spam-Mailadresse verwende, um meine Abos zu verwalten.

      Google Maps habe ich größtenteils durch Apple Karten ersetzen können, die zumindest für Berlin auch den öffentlichen Nahverkehr mit abbilden. Die Erfahrung ist gut, aber Apple Karten ist klar ein Kompromiss.

      Das größte Problem war allerdings Chrome. Mit all den gespeicherten Lesezeichen und besonders den hinterlegten Passwörtern war es praktisch mein gesamtes digitales Leben in einem Browser. Dank eines neue Features in Safari konnte ich aber relativ einfach alles mit drei Klicks übertragen. Jetzt sind meine Login-Daten zusätzlich mit dem Fingerabdruckleser des 16 Zoll MacBook Pro (Test) gesichert.

      Bleibt noch die Google Suche. Das war eigentlich relativ einfach. Beim iPhone 11 kann unter [Einstellungen]-->[Safari]-->[Suchmaschine] einfach eine Alternative zu Google gewählt werden. Keine davon ist so gut wie Google, aber DuckDuckGo und Bing sind wesentlich besser als ihr Ruf.

      Nach über zehn Jahren im Google Kosmos weiß dieser Konzern aber einfach was ich suche und was mich interessiert. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis die Google-Werbung (bspw. in Gmail) weniger passgenau wird, aber allein das Gefühl zu haben, weniger online verfolgt zu werden, gibt eine Menge Seelenfrieden.

      Dafür habe ich meine Daten teilweise zu Apple geschoben, teilweise bei Google gelassen und teilweise liegen sie nun bei Drittanbieter, die ich bezahle. Mit Jahren von Routine zu brechen, erfordert Arbeit und war auch nicht einfach im Alltag.

      Viel wichtiger ist aber, dass ich jetzt meine Daten an Unternehmen gebe, die ein konkretes Produkt verkaufen und eben nicht an einen Konzern, der Werbung verkauft und nebenbei vielen Hobbys nachgeht.

      Nächstes Mal versuche ich dann eine Welt ohne Amazon (inklusive AWS). Ich mache nur Spaß - das ist nun wirklich unmöglich.

      Fazit nach sechs Monaten iPhone 11

      Hier zitiere ich gerne das Fazit meines originalen Reviews vom Dezember 2019:

      Selbst als langjähriger Android-Nutzer bin ich begeistert vom iPhone 11. Die Performance, die Akkulaufzeit und auch die Kamera haben mich vollkommen überzeugt. Die Kompromisse, die es dafür macht, sind in Ordnung und auch iOS13 lief für mich größtenteils rund. Schade, dass der Formfaktor von 5,8 Zoll dem „Pro“-Modell vorbehalten bleibt.

      Auch sechs Monate später trifft das alles noch genauso zu. Das iPhone 11 ist ein großartiges Smartphone mit einer sehr guten Kamera, jeder Menge Performance, einem mehr als ausreichenden Display und einem Akku, der mich als Heavy-User ohne Problem über den Tag bringt.

      Man sagt immer, man sollte ab Juli kein iPhone kaufen, weil im Herbst eh neue Geräte vorgestellt werden. Die bisherigen Gerüchte zur iPhone 12-Serie zeigen aber nur wenige Änderungen im Vergleich zum aktuellen Modell. Entsprechend kann ich das iPhone 11 auch im Juli 2020 ohne Probleme empfehlen.

      Was ein Leben mit weniger Google angeht, bleibt es ein zweischneidiges Schwert. Google ist extrem gut indem was sie tun und sie haben auch keine Interesse, dass jemand anderes an die Daten kommt, die sie sammeln. Wir haben uns alle irgendwie damit abgefunden, dass unsere Daten gesammelt werden, weil es Teil der modernen Technologie geworden ist, aber unsere Privatsphäre ist eines unserer höchsten Güter und dafür sollte man auch mal ein paar Umstände im Kauf nehmen.

      Apple iPhone 11 bei uns im Shop

      *Stand: Juni 2020

      Veröffentlicht von Sascha

      Gamer, Filmliebhaber & Hobby-Fotograf – also alles was eine gute Geschichte erzählt. Großer Fan von durchdachten Produkten und Privatsphäre. Nach zehn Jahren im Google-System derzeit im Apple-Kosmos unterwegs und soweit zufrieden.

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